- 15-mal pro Stunde werden Mitarbeiter*innen im Durchschnitt während der Bearbeitung einer Aufgabe unterbrochen.
- Drei volle Arbeitstage verlieren Vollzeitbeschäftigte durch Fragmentierung ihrer Arbeitszeit.
- Die damit verlorene Produktivität jedes/r einzelnen kostet Unternehmen jährlich mehr als 50 Milliarden Euro.
Ständige Unterbrechungen sind nicht nur teuer, sie hinterlassen auch gesundheitliche Spuren
Dies jedenfalls zeigt eine aktuelle Studie (Mai 2022) von Vera Starker, Katharina Roos, Eva Bracht, und Dirk Graudenz. Im Rahmen einer Tagebuchstudie protokollierten 637 Personen in 25 Unternehmen aus zwölf Branchen, wie häufig sie ihre Arbeit unterbrachen und wie häufig sie versuchten mehrere Aufgaben, im Sinne des Multitasking, parallel zu bearbeiten. Die Studienteilnehmer*innen sollte dabei auch einstufen, wie sich dies auf ihr Stresserleben auswirkte.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Proband*innen Aufgaben, an denen sie eigentlich konzentriert arbeiten sollten, im Durchschnitt alle vier Minuten unterbrechen, vornehmlich, um ihr E-Mail-Postfach zu checken, Teamchatnachrichten zu lesen, Telefonanrufe anzunehmen oder auf Anfragen/ Aufforderungen von Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen zu reagieren.
Die permanente Ablenkung führt nicht nur dazu, dass wir uns immer weniger gut auf eine Sache konzentrieren können und uns von der Arbeit immer stärker belastet fühlen, sie führt auch dazu, dass wir deutlich unproduktiver sind.
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass wir mindestens 15 % der eigentlichen Bearbeitungszeit für die Refokussierung, also die konzentrierte Wiederaufnahme der eigentlichen Aufgabe, benötigen, bei steigender Komplexität der Aufgabe sind es sogar bis zu 24 % (Bailey & Konstan, 2006, zitiert nach Starker et al. 2022).
Das heißt, dass uns jede Unterbrechung einer Aufgabe, an der wir konzentriert arbeiten sollten, bis zu einem Viertel mehr an Arbeitszeit kostet.
Wer oder was ist für die dauernde Störung verantwortlich?
Anders als vermutet, zeigt die Studie von Starker und ihren Kolleg*innen, dass Arbeitsunterbrechungen ohne äußeren Anlass, wie z. B. das selbstständige Prüfen des E-Mail-Postfachs, mit sechs Mal pro Stunde und die Anzahl der Unterbrechungen die von außen kommen, wie z.B. Anfragen von Kolleg*innen oder von Vorgesetzten, mit neun Mal pro Stunde nicht sonderlich weit auseinanderliegen.
Das heißt, dass wir vielfach für unsere eigene Ablenkung verantwortlich sind. Allerdings aus psychologisch plausiblen Gründen…
1. Es fehlt uns an Impulskontrolle:
Impulskontrolle meint nichts anderes als Willenskraft oder Disziplin, im hiesigen Fall, die Disziplin, konsequent an einer Aufgabe dran zu bleiben, bis sie fertig ist, ohne zwischendurch E-Mails oder Textnachrichten zu checken. Dies gelingt uns – ob fehlender Impulskontrolle – jedoch nicht.
Die Gründe der Impulsivität sind dabei vielfältig:
a. Attraktivität: Unser Gehirn ist permanent auf der Suche nach neuen Reizen – noch unbekannte Inhalte einer neuen E-Mail oder eines Chats machen uns neugierig, Anfragen von Kolleg*innen, die wir schnell beantworten können, verschaffen uns eine Aura der Wichtigkeit.
b. Dringlichkeit: Eine E-Mail poppt auf, sofort verspüren wir den Impuls, diese zu öffnen, denn es könnte ja etwas sehr Dringendes sein. Wir handeln hier häufig aus der Angst heraus, etwas Wichtiges zu versäumen oder etwas nicht rechtzeitig zu erledigen. Frei nach dem Motto: „Muss nur noch kurz die Welt retten.“
c. Langeweile und Ungeduld: Routineaufgaben langweilen uns schnell, komplexe Aufgaben versprechen keinen kurzfristigen Erfolg, deshalb kommt uns Ablenkung, verbunden mit einem kleinen Erfolgserlebnis („ich habe immerhin die E-Mail beantwortet!“), ganz recht.
d. Automatismus, je häufiger wir E-Mails checken, desto mehr wird es zur Gewohnheit, wir konditionieren uns quasi selbst per Reiz (E-Mail), Reaktion (lesen) und Belohnung („ich kenne den Inhalt“).
2. Unser innerer Antreiber: „Sei immer nett zu allen.“ und/oder unsere Angst erlauben es uns nicht, einfach mal nicht erreichbar zu sein für alle anderen.
Und jetzt…?
…sollten Betroffene an ihrer Impulskontrolle arbeiten, z.B. im Rahmen von Resilienz- oder Stresstrainings. Ob durch gezielte Atmung, Meditation, ein Blick in die Natur oder PEP, jeder kann Aufmerksamkeitsfokussierung lernen und sich damit etwas Gutes tun.
Die Herausgeber*innen der zitierten Studie sprechen sich zudem für die Einführung von Fokuszeiten aus, 60 Minuten für jeden Mitarbeiter pro Tag, an dem er/ sie ungestört arbeiten kann.
Dies wiederum erfordert Arbeitsplätze, an denen man garantiert ungestört arbeiten kann. So inspirierend für die Kreativität Großraumbüros auch sein mögen, für konzentrierte Einzelarbeit sind sie wenig hilfreich.
Zu guter Letzt raten die Autor*innen der Studie zur Technologie-Tool-Inventur.
Gute Idee finde ich und deshalb schaue ich mir eben mal den Faber Castell Aktienkurs an…
Referenz: Starker, V.; Roos, K.; Bracht, E. M.; Graudenz, D. (2022): Kosten von Arbeitsunterbrechungen für deutsche Unternehmen. Auswirkungen von Fragmentierung auf Produktivität und Stressentwicklung.
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